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Das Private ist öffentlicher, aber man erfährt trotzdem nicht mehr über die Menschen. - Regisseurin Sarah Pech im Interview
Die 1992 in Tirol geborene Sarah Pech hat nach ihrem Komparatistik-Studium an der Universität Innsbruck 2018 ein Auslandsjahr in Buenos Aires gemacht, wo sie erste cineastische Werke schuf. Danach folgte ihr Filmstudium an der HFBK Hamburg. ICH HAB DICH TANZEN SEHN lief international auf Festivals und wurde beim diesjährigen Vienna Shorts mit dem Österreichischen Kurzfilmpreis und für das beste Sounddesign ausgezeichnet und hat sich damit für die Oscars sowie den Österreichischen Filmpreis qualifiziert.
Dein Kurzfilm ICH HAB DICH TANZEN SEHN spielt im Norden Tirols, du bist in Tirol geboren. Ist das der Grund für den Standort und was hat dich zu diesem Film inspiriert?
Seit ich nicht mehr in Tirol lebe, habe ich angefangen, es zu vermissen. Die steilen Kieselwege, das Dauerrauschen vom Amtsbach, die Felder vor der Haustür, die Zikaden im Sommer, die schneebedeckten Berge, die grasgrünen Hecken, den Marillenschnaps, die Brettljaus’n am Abend, die Fensterrahmen aus Holz, die gehäkelten Vorhänge, die zum Reinschauen verlocken.
Bei Ich hab dich tanzen sehn späht die 14-jährige Hauptprotagonistin Margarita in fremde Häuser und beobachtet den Alltag anderer. Inwiefern hat deiner Meinung nach Social Media unser Verständnis für Privatsphäre verändert?
Das Private ist öffentlicher, aber man erfährt trotzdem nicht mehr über die Menschen. Ich habe erst seit einem Jahr Instagram, Facebook benutze ich mittlerweile nur mehr als Chat. Auf diesen Plattformen wird doch eher eine gebaute Privatheit geteilt. Ich finde es befremdlich, wenn ich über Instagram erfahre, dass Freund:innen im Urlaub sind. Über dieses Thema habe ich nicht nachgedacht, als ich den Film gemacht habe. Ich kann trotzdem verstehen, wie diese Frage nach dem Schauen aufkommt.
Es fällt auf, dass Margarita bei ihrem nächtlichen Spaziergang kein einziges Mal auf ihr Handy schaut. Ich weiß auch nicht, ob sie eins besitzt. Zeitgleich beobachtet sie Jugendliche, die auf der Gartenparty ein TikTok-Video aufnehmen. Sie mäandert weiter und spickt in das nächste Fenster hinein, so nah, dass sie sich an dem Fenster festhält. Das hätte ich mich nie getraut. Es gefällt mir, dass sie sich diesen Moment nimmt. Sie wird dabei anscheinend nicht gesehen, daher ist es ein „wahrhaftiger“ Einblick in den Alltag der anderen im Vergleich zu dem Blick in den sozialen Medien.
Was hat beim Dreh besonders Spaß gemacht und was war eine Herausforderung beim Dreh?
Die Holzhackszene war beides. Das war ein langer Tag. Es hat plötzlich, wie so oft im August in Tirol, angefangen zu regnen und wir wussten nicht, ob wir die Szene überhaupt heute noch drehen können. Also haben wir die ungeplante Pause genutzt, um länger zu proben. Matthias, ein Freund und Landwirt, bei dem wir die Szene drehen durften, hat uns ausführlicher gezeigt, wie man hackt, ohne sich zu verletzen. Dann haben wir Pizza gegessen und Paul, der Tom spielt, hat Zaubertricks vorgeführt. Und dann hat es einfach aufgehört, zu regnen und es ging irgendwie ganz schnell. Wir waren alle im Moment und wussten, da passiert was Knisterndes.
Gibt es bestimmte Filmschaffende oder Werke, die einen besonderen Einfluss auf dich und deine Arbeit haben oder hatten?
Die Filmemacherin Chantal Akerman. Ihren Film Toute une nuit lässt sie ganz im Dunklen, in der Nacht spielen. Diese Entscheidung hat mich inspiriert.
Die Dorfbewohner:innen in Absam (der Ort in Nordtirol), mit denen ich durch den Film in Kontakt gekommen bin, haben mich mit ihrer Offenheit bestärkt und bewegt. Sara spielt im Film zum Beispiel deshalb Klavier, weil sie mir beim Kennenlernen erzählt hat, dass sie sehr gerne Musik macht.
Großen Einfluss haben meine Freunde, mit denen ich bei diesem, aber auch in anderen Projekten zusammengearbeitet habe: Eva Kirsch, Paul Stümke und Anton Böhm. Wir saßen nach jedem Abend/Nachtdreh zu viert im Wohnzimmer und haben uns weiter ausgetauscht, Wünsche und Vorschläge für den nächsten Tag festgehalten. Diese enge Zusammenarbeit war und ist mir unglaublich wichtig – für alles Zukünftige nicht anders vorstellbar.
Beim diesjährigen Vienna Shorts Festival wurde dein Film mehrfach prämiert, mit dem Österreichischen Kurzfilmpreis, dem Preis für das beste Sounddesign und die Qualifikation für die Oscars sowie den Österreichischen Filmpreis. Was verbindest du persönlich mit dem Festival und was macht es so besonders?
Ich war dieses Jahr zum ersten Mal beim Vienna Shorts Festival. Die Verbindungen sind noch sehr frisch, voller Freude und Nervosität. Die Stimmung war festlich und gemütlich zugleich, das mochte ich sehr.
Du hast in Innsbruck, Buenos Aires und Hamburg studiert und vor nahezu einem Jahrzehnt in Buenos Aires erstmals filmische Ideen umgesetzt. Welche Ideen stecken noch in dir und worauf dürfen wir uns in Zukunft freuen?
Hilfe, das klingt, als wäre meine Zeit in Buenos Aires schon so lange her. Vom Gefühl ist sie mir noch sehr nah. Aber ja genau, in Innsbruck und Buenos Aires habe ich Vergleichende Literaturwissenschaft studiert. In Buenos Aires konnte ich in meinem zweiten Semester an der UCINE ein Filmseminar belegen, wo dann eine erste Collage über meine neue Freundin Ester entstand. Freundschaften haben mich damals beschäftigt und tun es jetzt immer noch, gerade, wenn man nicht am selben Ort lebt. Wenn man sich einmal im Jahr übers Wochenende sieht, ist das noch eine Freundschaft? Ich weiß es nicht – aber diese zwischenmenschlichen Beziehungen aus einem gefühlt früheren Leben bewegen mich.
Bei meinem nächsten Film wird es nur Tageslicht geben, keine Nacht, zumindest denk ich das jetzt.
Hier geht es zur kuratierten Filmauswahl von Sarah Pech.